Einlesen auf Erlangen
Comics über Comicfestivals
Die Vorfreude steigt: kommende Woche findet in Erlangen der 21. Internationale Comic-Salon statt! Und wie könnte man sich besser auf so ein Comicfestival einstimmen als mit Comics, die auf Comicfestivals spielen? Hier gibt’s die passenden Tipps vom ALLESFRESSER!
„Schreib über das, was Du kennst“ – an dieser wohlmeinenden und mehr oder weniger hilfreichen Empfehlung kommt wohl kein angehender Schriftsteller vorbei. Wenn dieser Rat auch für Comicautoren gilt und man mal davon ausgeht, dass die einsamen Tage am Zeichentisch verhältnismäßig wenig dramaturgisches Potenzial bieten, müsste es doch etliche Comics geben, die an ihrem zweithäufigsten Aufenthaltsort spielen: auf Comicfestivals und –conventions. Und tatsächlich: wenn man sich auf die Suche macht, findet man einige Beispiele für dieses Nischengenre.
Die meisten davon nähern sich dem Thema von der humoristischen Seite. So zum Beispiel TALES FROM THE CON, eine 2011 auf der Website der Emerald City Comic Con gestartete und inzwischen gesammelt als Paperback erhältliche Cartoonreihe von Brad Guigar und Chris Giarrusso. Sie illustriert viele der schrägen Situationen, die sich garantiert auf jeder derartigen Veranstaltung ereignen – mehr oder weniger nah an der Realität. Leider erschöpfen sich viele der Cartoons in der Bebilderung etwas lahmer Wortwitze – ein Humor, der vielleicht in der ursprünglichen Publikationsform mit einem Gag pro Woche funktionierte, der aber in geballter Sammelband-Form recht schnell ermüdet.
Wie so oft wird es gleich unterhaltsamer, wenn man mit etwas mehr Biss an die Sache herangeht. Der kanadische Zeichner Stuart Immonen hat offensichtlich auch so seine Erfahrungen mit den teils recht speziellen Fans gemacht, die einem am Signiertisch begegnen, und seine Konsequenzen daraus gezogen: 50 REASONS TO STOP SKETCHING AT CONVENTIONS ist der vielsagende Titel seiner Stripsammlung, in der er akribisch und entlarvend die verschiedenen nervigen, unangenehmen und / oder unheimlichen Typen von Sketchjägern abbildet – vom Zu-früh-Kommer über den Tischwackler bis zum Ebay-Verkäufer bekommt jeder sein Fett ab. Wer es bisher für eine unmenschliche Qual hielt, stundenlang in einer Signierschlange anzustehen, dürfte hier erkennen, dass sich der wahre Horror auf der anderen Seite des Signiertischs abspielt.
Bevor man aber Gefahr läuft, sich selbst in einem der hier beschriebenen sozial gestörten Sonderlinge wiederzuerkennen, sollte man das Buch lieber beiseitelegen und ein anderes zur Hand nehmen – zum Beispiel LETZTES WOCHENENDE IM JANUAR von Bastien Vivès. Das unterscheidet sich nicht nur durch seinen größeren Umfang deutlich von den oben beschriebenen Bänden, sondern vor allem, weil es sich an einer ernsthaften, melancholischen Reflektion des Mikrokosmos Comicfestival versucht.
Wer den europäischen Comickalender verinnerlicht hat, wird es anhand des Titels schon erahnen: das Buch spielt auf dem einzigen europäischen Festival, das den Comic-Salon Erlangen noch ein kleines bisschen überstrahlt, nämlich dem von Angoulème. Zusammen mit Denis Choupin, einem älteren und schon leicht desillusionierten Comiczeichner, trudeln wir durch die vier Festivaltage, erleben den Smalltalk am Signiertisch, die drögen Geschäftstreffen mit Verlagsvertretern und die einsamen Nächte im Hotelzimmer. Die spürbare Ermattung des Festivalveteranen wäre kaum auszuhalten, gäbe es nicht einen Lichtblick in der trüben Winterstimmung: die Begegnung mit Vanessa, die plötzlich in der Schlange vor Denis‘ Signiertisch steht. Das alles ist präzise beobachtet und in Vivès‘ bekannt skizzenhaftem Stil so betörend gezeichnet, dass man sogar gerne bereit ist, die unwahrscheinliche Liebesgeschichte zu glauben, die sich aus dieser Begegnung entspinnt.
Ebenfalls melancholisch, aber eine ordentliche Spur düsterer geht es in BAD WEEKEND zu. Ed Brubaker und Sean Phillips zeigen, dass man auch einen klassischen Hard Boiled-Krimi vor dem Hintergrund einer Comic Convention erzählen kann. Hal Crane, ein Comiczeichner der ersten Generation, bittet seinen früheren Assistenten Jacob, in zu einer Convention zu begleiten, bei der er einen Preis für sein Lebenswerk erhalten soll. Dass der Alte nicht nur dort hinfährt, um Hände zu schütteln und sich auf die Schulter klopfen zu lassen, ahnt Jacob spätestens, als er auf dem Herrenklo mit der Knarre herumfuchtelt. Die in Blut, Schnaps und Zeichentusche getränkte Story ist ungemein spannend und wirft ein hartes, kaltes Licht darauf, wie skrupellos die Comicbranche über Jahrzehnte hinweg ihre Kreativen ausgebeutet und verheizt hat.
Inwieweit die hier vorgestellten Werke mit ihren genervten, desillusionierten, frustrierten und latent gewalttätigen Hauptfiguren sich nun wirklich dazu eignen, die Vorfreude auf den Comic-Salon zu wecken, ist zugegebenermaßen diskutabel. Deshalb zum Schluss noch ein Blick auf einen Comic, der einen deutlich leichteren Ton anschlägt und uns damit hoffentlich wieder in die passende Stimmung bringt: MOCKINGBIRD von Chelsea Cain und Kate Niemczyk.
Nach den turbulenten Ereignissen aus Heft 1 bis 5, die wir kürzlich schon hier vorgestellt haben, hat die Superagentin Bobbi Morse sich ein wenig Erholung verdient. Dass ein Kreuzfahrtschiff, auf dem eine Superhelden-Convention stattfindet, vielleicht nicht der richtige Ort dafür ist, muss sie dann relativ schnell feststellen, als ein Passagier erstochen in seiner Kabine liegt. Was sich für Bobbi schnell zu einer lebensgefährlichen Situation entwickelt, ist für uns Leserinnen und Leser ein großer Spaß, mit erwachsenen Männern in lächerlichen T-Shirts, Cosplayern in ausgestopften Muskelanzügen und jeder Menge weiterer augenzwinkernder Verweise auf die Nerdkultur.
So – wer es schafft, alle hier gelisteten Comics noch rechtzeitig vor Salonbeginn zu lesen, dürfte optimal präpariert und bester Stimmung nach Erlangen fahren. Und, gute Nachricht: alle anderen auch! Ein Blick auf das online abrufbare, wie immer begeisternde Programm sollte reichen, um restlos euphorisiert die Koffer zu packen. Auf geht’s – wir sehen uns dort!
Aufmacherbild aus LETZTES WOCHENENDE IM JANUAR
© Bastian Vivès / Schreiber&Leser