Nass, aber glücklich!

Ein Rückblick auf den 21. Internationalen Comic-Salon Erlangen

Das Wetter war diesmal ziemlich abwechslungsreich beim Comic-Salon in Erlangen: von leichtem Geniesel über kräftige Schauer bis zu ausgewachsenen Wolkenbrüchen war alles mit dabei. Mehr als 30.000 Besucherinnen und Besucher ließen sich die Laune davon nicht verderben; und das, obwohl es – Verschwörungstheoretiker aufgepasst! – ernsthafte Hinweise darauf gab, dass das Kulturamt selbst für die Wassermassen verantwortlich war. Der ALLESFRESSER deckt auf!

Man konnte schon ein ungutes Gefühl bekommen, wenn man im Vorfeld des Salons die Wettervorhersage studierte – vor allem, wenn man weiß, wie sensibel Comicfreunde auf Feuchtigkeit reagieren. Wasser ist eben der natürliche Feind von Papiererzeugnissen, und schon die Vorstellung, dass sich signierte Luxusausgaben oder wertvolle Originalzeichnungen in Pappmaché verwandeln, löst bei Sammlern Panikattacken aus.

Glücklicherweise kam es dann nicht ganz so schlimm wie erwartet. Insgesamt hielt sich die Niederschlagsmenge in Grenzen, und zwischendurch gab es immer wieder Regenpausen, in denen man trocken von einer Ausstellung zur anderen kommen oder die neuerworbenen Schätze ins Hotel bringen konnte. Sogar die traditionelle Party nach der Max-und-Moritz-Gala konnte wie gewohnt unter freiem Himmel stattfinden.

Wasser in allen seinen Erscheinungsformen. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2024

Trotzdem war immer wieder zu sehen, wie Aussteller die Zeltplane über ihren Messeständen mit Klebeband abdichteten, und in den Schlangen an den Signiertischen wurde ausgiebig über expeditionstaugliche Rucksäcke mit wasserdichten Regenhäuten diskutiert. Die Luftfeuchtigkeit von 20 bis 35 Prozent, die einschlägige Normen für die Lagerung von Druckerzeugnissen empfehlen, wurde jedenfalls weit überschritten, so dass viele der an den Ständen ausliegenden, druckfrischen Comics binnen weniger Stunden aussahen wie antiquarische Dachbodenfunde.

Während die meisten Salonbesucherinnen und –besucher sich mit fröhlicher Gelassenheit mit den Verhältnissen arrangierten, fragten sich einige kritische Geister, wie es eigentlich gerade zum Festivalwochenende so eine Wetterlage geben konnte. Schon klar, Klimawandel – aber war „Erlangen-Wetter“ bisher nicht ein feststehender Begriff für strahlenden Sonnenschein und schweißtreibende Temperaturen? Ein Blick ins Programmheft weckte einen Verdacht: war es möglich, dass das veranstaltende Kulturamt selbst die Regengüsse in Auftrag gegeben hatte? Man konnte es ja kaum für einen Zufall halten, dass ausgerechnet in diesem Jahr eine große Ausstellung zum Thema „Wasserzeichen – Comics über das fluide Element“ zu sehen war – und die Witterung quasi das passende Begleitprogramm dazu beisteuerte. Bei allem, was das Kulturamt für den Salon so in Bewegung setzt, würde man ihm durchaus auch zutrauen, die Elemente zu kontrollieren.

Unterwasser-Wunderwelten in der „Wasserzeichen“-Ausstellung. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2024

Die Ausstellung selbst lieferte dazu leider keine weitergehenden Erkenntnisse, war aber ausgesprochen sehenswert. Zahlreiche Originalzeichnungen, Reproduktionen und Videoprojektionen zeigten, wie vielfältig Wasser in Comics und im Animationsfilm dargestellt wird. Eine eigens konzipierte Geräuschkulisse aus Wellenklang, Walgesängen und dem tiefen Brummen von Schiffsmotoren schuf die passende Atmosphäre, um sich in die Exponate zu vertiefen. Zwar war die Auswahl der gezeigten Künstler und Künstlerinnen nicht ganz zwingend – für jedes vertretende Beispiel wären einem noch zwei oder drei andere eingefallen, die man mit derselben Berechtigung hätte präsentieren können – aber zu sehen, wie Gipi mit haarfeinen Tuschestrichen eine ungastliche, apokalyptische Welt in nicht enden wollenden Regen taucht, oder wie Hervé Tanquerelle seine im Funny-Stil gehaltenen Figuren vor einer naturalistisch lavierten Polarkulisse agieren lässt, war ein Erlebnis.

Moment mal – schon wieder Wasser? Hier in der Jeremy Perrodeau-Ausstellung. © Éditions 2024 & Jeremy Perrodeau

Und auch die vielen weiteren Ausstellungen waren einen Besuch wert: etwa die Einzelausstellungen von Jeremy Perrodeau, Steven Appleby oder Olivia Vieweg, die schräge Präsentation des noch schrägeren Überraschungserfolgs „Fungirl“ – und natürlich auch die große Schau zu den „Katzenjammer Kids“. Man hat sich mittlerweile ja daran gewöhnt, dass Alexander Braun Sensationen am Fließband abliefert, aber man darf das ruhig auch noch einmal loben: wie Besucherinnen und Besucher hier mit Archivfunden, zeitgenössischen Fotografien, Dokumenten und Alltagsgegenständen mitgenommen werden in die Lebenswelt der deutschen Einwanderer in New York und die damalige Medienlandschaft (die erstaunlich vielfältig war: es gab Morgenzeitungen, Abendzeitungen,  Wochenendzeitungen und noch ein paar für die Zeiten dazwischen), macht die Entstehungsgeschichte dieses wegweisenden Comics ganz direkt erlebbar.

Die Ausstellung liefert aber nicht nur comichistorische Erkenntnisse, sie macht einfach auch Spaß – weil der über hundert Jahre alte Klamauk der „Kids“ immer noch funktioniert und man sich über das Einwanderer-Denglisch der Chaoten Hans und Fritz noch heute kaputtlachen kann. Oder, wie der im Strip wiederkehrend auftretende Inspector es sagen würde: „Mit dose Kids, Society is nix!“

Zwischen Düsternis und Hoffnung. Ausstellung „Leben in der Kriegszone – Comics aus der Ukraine“. Foto: ALLESFRESSER

Aus gutem Grund deutlich gedämpfter war die Stimmung in der Ausstellung mit Comics aus der Ukraine. In dem vom Moga Mobo-Team initiierten Projekt berichten ukrainische Künstlerinnen und Künstler von ihrem Alltag in Kriegszeiten. Hier zeigt das Medium Comic eine seiner großen Stärken: dass es gerade auch schwere Themen sehr zugänglich und direkt vermitteln kann.

Engagierte Zeichnerin, engagierte Rednerin: Barbara Yelin bei der Max und Moritz-Gala. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2024

Und wo wir schon bei schweren Themen sind: denen widmet sich Barbara Yelin bereits seit Jahren; zuletzt mit Ihrem Buch „Emmi Arbel. Die Farbe der Erinnerung“, das uns intensiv und berührend das Leben der gleichnamigen Holocaust-Überlebenden nahebringt. Barbara Yelins Bücher werden inzwischen weit über die Comicszene hinaus als wichtiger Teil der Erinnerungskultur wahrgenommen – und erreichen umgekehrt Menschen, die vermutlich nie ein Sachbuch oder einen Roman zu dem Thema in die Hand nehmen würden. Nachdem sie bereits 2016 als beste deutschsprachige Comickünstlerin mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet wurde, erhielt Barbara Yelin in diesem Jahr nun aufgrund dieser Verdienste verdientermaßen den Spezialpreis der Jury.

Genauso verdient ist natürlich auch die Auszeichnung von Joann Sfar, der den Max und Moritz-Preis für sein Lebenswerk entgegennehmen durfte. In den vergangenen 25 Jahren hat er ein unvergleichlich vielschichtiges Werk geschaffen: von den albernen, mit seinem Freund Lewis Trondheim zusammen konzipierten DONJON-Bänden, die mittlerweile einige Regalmeter füllen, über seine farbenfroh-lebendigen Auseinandersetzungen mit philosophischen Fragen und der jüdischen Kultur, etwa in DIE KATZE DES RABBINERS, bis hin zu seinen jüngsten autobiographischen Werken.

Joann Sfar komplettiert die Ausstellung zu seinem Lebenswerk – genau beobachtet vom ALLESFRESSER. © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2024

Sfar konnte man beim Comic-Salon nicht nur über sein Werk kennenlernen, das im Stadtmuseum in einer prächtigen Gesamtschau präsentiert wurde, sondern auch ganz direkt in Gesprächsrunden und persönlichen Begegnungen, wo er sich als zugewandter, freundlicher Mensch und interessierter Gesprächspartner zeigte. Und vielleicht war das das Wertvollste, was er der Salon-Community zu geben hatte: dass man sich ernsthaft und tiefgründig mit den Problemen unserer Zeit beschäftigen und sich trotz allem eine positive Haltung zum Leben bewahren kann. Ganz so wie einer von Sfars Professoren im Philosophiestudium, dessen Selbstbeschreibung auch auf den Künstler passen würde: als „fröhlicher Pessimist“.

So fällt das Salon-Fazit trotz durchwachsenen Wetters durchweg positiv aus; zumal sich herausgestellt hat, dass man auch beim elften Salonbesuch noch zu ganz neuen Einsichten kommen kann. Deshalb, hier zum Abschluss, drei ganz persönliche Erkenntnisse vom 21. Internationalen Comic-Salon:

1
Wenn man plötzlich zwei Stunden mehr braucht als früher, um von einem Ende der Erlanger Innenstadt zum anderen zu kommen, liegt das nicht nur an altersbedingtem Muskelschwund und der Expansion des Universums, sondern auch daran, dass man bei jedem Salonbesuch neue nette Leute kennenlernt, denen man dann regelmäßig über den Weg läuft.

2
In Halle B von Stand zu Stand zu ziehen, macht noch mehr Spaß mit einem auskömmlichen Vorrat an Gin Tonic im Gepäck. (Danke für diese Erkenntnis an Sandra und Ariane vom Comicklatsch!)

3
Vier Tage sind viel zu schnell vorbei. Okay, diese Erkenntnis ist jetzt nicht wirklich neu. Aber halt so wahr!