The Pussy is not the Pussy
Heavy Metal Drummer
Einem Comic, dessen Cover das Filmplakat des 80er-Jahre-Slashers MANIAC zitiert, kann man zumindest nicht vorwerfen, er hätte einen nicht gewarnt. Und tatsächlich ist HEAVY METAL DRUMMER nichts für sensible Gemüter. Schon auf den ersten paar Seiten bekommt man verwahrloste Drogenopfer, bezahlten Sex in schäbigen Hinterhöfen und Gewalt gegen Haustiere geboten – ehe es dann ein bisschen unangenehm wird.
Aber der Reihe nach. Los Angeles, 1986. Während anständige Bürger in den Straßen ihren Geschäften nachgehen (Drogenhandel, Rockmusik, Prostitution), hat sich ein paar Meter tiefer in der Kanalisation ein bösartiger außerirdischer Schleimbatzen eingenistet. Der verbreitet von dort aus den Keim des Bösen – und zwar über die etwas bizarre, aber eigentlich verblüffend logische Infektionskette: Kanalratten – streunende Katzen – nette Omis. Letztere werden dadurch zu willenlosen Werkzeugen des Weltraumschleims: gedankenkontrolliert und künstlich verjüngt mutieren sie zu unwiderstehlichen Sexbomben, die auf dem Straßenstrich Männer abschleppen und sie in die extraterrestrischen Zuchtkammern des Schleim-Imperiums teleportieren. Oder so ähnlich. Es gab schon teuflischere Pläne zur Erlangung der Weltherrschaft, aber nur wenige schrägere.
Angesichts des weitgehend triebgesteuerten Verhaltens der Männerwelt würde der Plan wahrscheinlich sogar aufgehen – wäre da nicht Dave. Der Drummer einer erfolglosen Band ist der einzige, der die Omi-Monster-Hybriden in ihrer wahren Form sehen kann, seit er von einer fremdartigen Droge genascht hat. Und er kommuniziert im Rauschzustand mit einer geheimnisvollen Instanz, die ihm nicht nur kryptische Nachrichten übermittelt („No view is the true view“, „The pussy is not the pussy“), sondern auch ganz konkrete Anweisungen, wie er dem Treiben der Aliens Einhalt gebieten kann. Und so macht er sich frisch ans Werk, denn letzten Endes ist ja auch eine außerirdische Invasion nichts, was man mit Entschlossenheit und einer scharfen Axt nicht in den Griff bekommen könnte.
Passend zum räudigen Inhalt präsentiert Zeichner Luca Vassallo die Geschichte in einem ziemlich schrundigen Stil, der wirkt wie die Crack-Variante klassischer amerikanischer Underground-Comix. Neben den angemessen eklig dargebotenen Body Horror-Momenten bestechen dabei besonders die regenbogenbunten Darstellungen von Daves Drogenerfahrungen. Mit dieser Mischung erzeugt der Band beim Leser eine eigentümliche Mischung aus Stirnrunzeln und Faszination – ungefähr wie eine Tüte Erdnussflips mit Barbecue-Geschmack: man weiß sehr wohl um die ekelhaften Zutaten, aber wenn man sie erst einmal geöffnet hat, kann man sie nicht mehr aus der Hand legen.
Dazu trägt auch bei, dass man sich kontinuierlich fragt, womit man es hier eigentlich zu tun hat. In den psychedelisch-bunten Rauschwelten und Daves zwanghaftem Verhalten erahnt man eine durchaus ernsthafte Auseinandersetzung der Autoren mit Drogen und ihren Auswirkungen auf den Geist; die verrätselten Botschaften des im Badezimmerspiegel wohnenden kosmischen Kommandeurs („To know is to worship dead words. Only go straight. Do not know.“) können als zynischer Kommentar darauf gewertet werden, dass wir immer gerne bereit sind, anderen das Denken zu überlassen. Aber vielleicht ist auch das genaue Gegenteil gemeint. Man muss nicht gleich so weit gehen, diese Uneindeutigkeit als Merkmal ernsthafter Kunst herauszustellen. Aber zumindest hält sie beim Lesen das Hirn am Kurbeln.
Das größte unter den vielen Rätseln ist aber, wie der Comic eigentlich zu seinem Titel kommt. Nicht nur die grafische Gestaltung hat viel mehr mit Punk zu tun als mit Metal; auch Daves (namenlose) Band würde man vom Erscheinungsbild und den „Shoot the system, rape the rich“-Songtexten her eher dort verorten. Aber wahrscheinlich war „Heavy Metal Drummer“ als Titel einfach catchier als „Punk Drummer“.
Eine Wertung dieses eigentümlichen Werks ist mit den bewährten kulturwissenschaftlichen ALLESFRESSER-Maßstäben nicht möglich. Wer sich ein Bild von der Wirkung des Comics machen möchte, wird wohl ums Selberlesen nicht herumkommen.
Beim Lesen hören: Irgendwas Fieses aus dem Grenzbereich von Hardcore, Punk und 80s Metal – vielleicht „Hear Nothing See Nothing Say Nothing“ von DISCHARGED oder „Death before Dishonour“ von THE EXPLOITED.
Unser Autor: In seiner ersten Metal-Phase begeisterten Markus Binder vor allem die unsterblichen Klassiker der 80er Jahre. Inzwischen lauscht er gerne auch Bands wie UFOMAMMUT oder MONOLORD, die sich anhören wie ein sehr großer, leicht beschädigter Industriestaubsauger.
Heavy Metal Drummer
Kiefer Findlow, Emiliano Plissken, Luca Vassallo, Tokebi / Sumerian Comics
Paperback, 176 Seiten, $19,99
Alle Abbildungen © Sumerian Comics